Pressemitteilung
Radwegstopp entlang L265 bei Illingen-Steinertshaus
L265 Steinertshaus – Illingen: „Radfahrer frei“: auf Gehwegen oder zum Abschuss für die Kraftfahrzeuge - oder wie Vision Zero einseitig interpretiert wird.
Mit Vision Zero beschreibt man den Wunsch nach einer (Verkehrs-) Welt mit Null Verkehrsopfern, weder bei Lkw, Bus, Kfz, Schiene, Schifffahrt oder auch Rad- und Fußverkehr. Es gibt keine „guten“ oder „schlechten“ Verkehrsopfer, ein Unfall, der durch einen Radfahrer verursacht wurde ist genauso schlecht zu beurteilen wie durch Einwirkung eines Kfz. Um die Vision Zero zu erreichen, schließt dies ein, dass Menschen Fehler begehen und dieses „Risiko“ muss vorsorglich minimiert werden. Abgesehen von technischen Defekten dürfte es, wenn jeder der Verkehrsteilnehmer sich nach §1 der Grundregeln der Straßenverkehrsordnung verhält (Zur Erinnerung: (1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdert oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.), keine Verkehrsopfer geben.
Um den Verkehrsteilnehmern es bei der Benutzung der Straßen und Wege, die Einhaltung der Grundregeln etwas einfacher zu machen, gibt es eine Reihe von Verkehrsregeln, Gesetze und Richtlinien. Durch diese Regulierung des Straßenverkehrs kann mitunter der Eindruck entstehen, dass der Verkehrsteilnehmer sich darauf verlassen kann, dass bei der Anlage des Verkehrs, jemand, im Besten Fall die zuständige Behörde, für ihn mitgedacht hat. Ein Blick in die Straßenverkehrsordnung könnte diese Wohlfühloase der vollumfänglichen Regelung bestätigen, stehen den übergeordneten und an erster Stelle stehenden Grundregeln doch 52 Paragraphen gegenüber, die gewissermaßen die „Einzelfälle“ aufführen.
D.h. ein Radfahrer, der das Verkehrszeichen für Gehweg (Zeichen 239) mit dem Zusatzschild „Radfahrer frei“ am Anfang eines straßenbegleitenden Weges sieht, muss sich darauf verlassen können, dass dieser Weg grundsätzlich gefährdungs- und unfallfrei auch im Begegnungsverkehr (Mischverkehr) mit Fußgängern zu nutzen ist. (Hinweis zu Zeichen 239: StVO: „2. Ist durch Zusatzzeichen die Benutzung eines Gehweges für eine andere Verkehrsart erlaubt, muss diese auf den Fußgängerverkehr Rücksicht nehmen. Der Fußgängerverkehr darf weder gefährdert noch behindert werden. Wenn nötig muss der Fahrverkehr warten, er darf nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren.“) Um den Planern und Behörden dass Leben zu erleichtern gibt es Regelwerke, die dafür die notwendigen Abmessungen definieren, damit die gefährdungsfreie Benutzung baulicherseits gewährleistet werden kann. Richtlinien, Gesetze und Regelwerke können sich im Laufe der Zeit ändern, sind gewissermaßen „living documents“ und u.a. auch von der großpolitischen Wetterlage abhängig. Bauliche Anlage sind tote Masse und verändern sich, jedenfalls nicht von selbst und auch nicht automatisch, wenn sich Richtlinien ändern. Und so kann es dann vorkommen, dass ein straßenbegleitender Gehweg mit bisheriger „Radfahrer frei“ Regelung plötzlich, rein rechtlich, diese Zusatznutzung durch Radfahrer mangels baulicher Eignung nicht mehr erlaubt. Kommt es nun tatsächlich auf einem baulicherseits als mangelhaft anerkanntem Weg zu einem Unfall, weil beispielsweise ein Radfahrer die zwingend vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit nicht eingehalten hat, wird zwar zunächst der Radfahrer als unmittelbarer Unfallverursacher zur Rechenschaft gezogen, dieser kann aber auch darauf verweisen, dass die Benutzung des Weges überhaupt erst nicht stattgefunden hätte, wäre da nicht das Zusatzzeichen „Radfahrer frei“ gewesen. Und damit kommt die zuständige Behörde in den Fokus der Haftbarkeit. D.h. erlangt die zuständige Behörde Kenntnis, dass es bauliche Mängel (in Bezug zu den geltenden Richtlinien) gibt, kommt es einem Husarenstück gleich, erstmal die Beschilderung an die Richtlinienlage anzupassen, versehen mit dem Hinweis auf den Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer, den Fußgängern. Dies ist soweit auch nachvollziehbar, wäre da nicht der Radfahrer, dem nun die Nutzung des Weges untersagt ist und er sich auf die „reguläre“ Fahrbahn „abgeschoben“ und den Gefahren des Mischverkehrs mit Kfz, Lkw & Co ausgesetzt fühlt und damit zumindest „gefühlt“ sein eigenes Sicherheitsbedürfnis verletzt sieht, er damit vom „Jäger“ zum „Gejagten“ wird.
Umgekehrt kann man sich die Frage stellen, ob dieses Verwaltungshandeln neben der gefühlten Verschlechterung des Sicherheitsbedürfnisses der Radfahrer auch zu einer realen Verschlechterung führt. Ist dies der Fall müsste sich die zuständige Behörde fragen, ob nicht nach §45 Abs. 9 Satz 2 eine Gefährdungslage entsteht und damit entsprechende, die Sicherheit für Radfahrer erhöhende Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen zusätzlich anzuordnen sind. D.h. kann von einem Autofahrer verlangt werden, wenn er parallel zu seiner Fahrbahn einen, seiner augenscheinlichen Beurteilung nach, geeigneten Weg für Radfahrer wahrnimmt, damit rechnen, das plötzlich auf seiner Fahrbahn ein Radfahrer, ggf. eine Gruppe von Radfahrer, oder gar radfahrende Kinder (über 10 Jahre) auftauchen? Hupende Autofahrer, die gestikulierend dem Radfahrer, den seiner Meinung nach bestehenden „Radweg“ (umgangssprachlich interpretiert), zeigen, sprechen eine andere Sprache. Lösungen wie „die Polizei wird die nicht gestattete Nutzung des Gehwegs zur Radfahrer nicht ahnden“ sind eine Peinlichkeit an sich und untergraben schlicht sämtliche verkehrsordnende Maßnahmen.
Wie oben ausgeführt entstehen diese Situationen, wenn sich Richtlinien, Normen und Gesetze ändern, die Bausubstanz aber bleibt und damit beide nicht mehr zusammenpassen. Selbstverständlich sind die zuständigen Behörden bemüht auch die Bausubstanz, wo immer möglich, an die geltenden Richtlinien etc. anzupassen. Während jedoch Richtlinien mit einem Federstrich geändert sind, ändert sich Bausubstanz eher langsam und in Zeiten von Fachkräftemangel und knappen finanziellen Ressourcen sind die Anpassungen eben auch nur schrittweise möglich. D.h. wenn man erkennt, dass man Radverkehr als wichtige Säule im Verkehrsmix und absolut notwendige Säule zur Reduktion von klimaschädlichen Treibhausgasen erkennt, gleichzeitig den Verkehr auf allen Straßen und Wegen sicherer machen will und muss, dann sollen sich die dafür zuständigen Behörden auch etwas mehr Ideen und Möglichkeiten, im Rahmen der Straßenverkehrsordnung einfallen lassen, um dem Sicherheitsbedürfnis aller Verkehrsteilnehmer, auch den Radfahrern, gerecht zu werden. Und wo die Möglichkeiten für die sichere Gestaltung dieses Transformationsprozesses durch die geltende Straßenverkehrsordnung ausgeschöpft sind, müssen politisch Verantwortliche den entsprechenden gesetzlichen Rahmen schaffen, den notwendigen politischen Willen vorausgesetzt.
Durch die Fortschreibung des Radverkehrsplans Saarland 2025 hat die Landesregierung den betreffenden Abschnitt überörtlich als Alltagsradverkehrsverbindung der Priorität 2 eingestuft und mit der Maßnahme ….. belegt. Damit ist klar, dass diese Verbindungsachse (weiterhin) eine für Radfahrer sichere Verkehrsführung verlangt. Bis zur Umsetzung der Maßnahme und damit das „upgrade“ auf das neue Sicherheitsniveau, wären folgende Maßnahmen (übergangsweise) denkbar:
- Gefahrenzeichen 138 „Radverkehr“ entlang der Strecke, um den Autofahrern deutlich zu machen, dass der begleitende Weg nicht für Radfahrer ist.
- Anpassung der Höchstgeschwindigkeit: max. 50km/h ggf. auch 30km/h. Letzteres wird im Bereich der L265 z.B. für den Zeitraum des Weihnachtsbaumverkaufs der angrenzende Betriebsfläche, für ca. 1 Monat, bereits realisiert. Und was für Weihnachtsbäume möglich ist, sollte auch für Radfahrer möglich sein.
- punktuelle Geschwindigkeitskontrollen oder besser abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrollen (mit entsprechenden Einrichtungen).
- Zu überlegen ist aber auch, ob durch die nicht-Erfüllung der notwendigen Breite des Gehwegs und gleichzeitig der Bekundung der Bedeutung dieser Radverkehrsverbindung durch den Radverkehrsplan nicht eine Situation eintritt, die man als faktische „Baustelle“ bezeichnen kann. Im Falle einer baustellenbedingten Beeinträchtigung des Gehwegs mit „Radfahrer frei“, können nach RAS21 auch schmalere Wegführungen für Radfahrer freigegeben werden, hier gilt nur eine Mindestbreite von 1,50m. Durch entsprechende Beschilderung auf dem Radweg, wird dem Radfahrer deutlich gemacht, dass er sich auf einem schmaleren Gehweg befindet und dass er hier besonders auf die Begegnung mit Fußgängern achten muss und darauf achten muss, Schrittgeschwindigkeit einzuhalten. Damit könnte man dem Sicherheitsbedürfnis der Radfahrer und Fußgänger entgegen kommen, gleichzeitig ist der Übergangscharakter der Situation deutlich und die zuständigen Behörden werden täglich daran erinnert das bauliche Upgrade voranzutreiben und aus den politischen Visionen landesweit und nicht nur entlang der L265, Wirklichkeit werden zu lassen.
Zuletzt bleibt die Frage, warum sich der mediale Protest gegen den Wegfall der Radfahrer-Mitbenutzung der Gehwege erst neuerdings entfacht. Entlang der L265 ist mindestens seit Sommer 2023, also seit über zwei Jahren, die „Radfahrer frei“ Regelung aufgehoben.
